„Aus dem Plotlexikon
X — wie Xenophon”
Literatur-Fumetto mit Zeichnungen von Norbert Gmeindl erscheint im Mai 2023 bei edition mono, Wien
..Im Jahre 1936 gibt es erstaunliche Fortschritte in Wissenschaft und Technik: Eisenbahnen und Fluglinien umspannen die Kontinente, Zeppeline dringen in die entlegensten Winkel des Globus, in Europa gibt es einige hervorragend funktionierende Diktaturen und die Menschheit trägt, wenn sie es sich leisten kann, gut sitzende Garderoben mit Gamaschen und Hüten, mit Rüschen, Puffärmeln und Pumps. In diesem Jahr befindet sich ein Papyrus bereits seit dreizehn Generationen im Besitz einer kleinaristokratischen Wiener Familie. Dieser Papyrus gilt als ein originales Autograph des Xenophon - ein Bruchstück der Anabasis, das jenen Augenblick beschreibt, in dem eine Schar Griechen, auf der Flucht durch feindliches Land, das heimatliche Meer am Horizont auftauchen sieht.
Immer wieder wurde die Echtheit des Schriftstückes angezweifelt, aber eine Untersuchung bringt das Ergebnis: Der Papyrus wurde um 400 v. Chr. beschrieben. Auch die anderen technischen Details sind unzweifelhaft.
Dieses älteste erhaltene Original abendländischer Literatur besteht aus einem brüchigen, faserigen Fetzen, bedeckt mit fahler Schrift, der in einem Glasbehälter, ähnlich einem Reliquiar, aufbewahrt wird. Dieser Behälter ist an komplizierte Apparaturen angeschlossen, die für das Schriftstück eine optimale Klimainsel herstellen. Die Apparaturen und der kleine Glassarg mit der Handschrift füllen einen großen Raum im Stadtpalais der Familie, in dem schwere Vorhänge das Tageslicht dämpfen und das Surren und Keuchen der Beatmungsmaschinen ein ständiges Hintergrundgeräusch bildet, das in jeden Raum des Hauses dringt.
Seit Jahrzehnten lebt die Handschrift des Xenophon wie ein komatöser Verwandter in dieser kleinen Intensivstation inmitten ihrer Besitzer, dem Baron und seiner Tochter und beherrscht ihr Leben, genauso wie schon das Leben vergangener Geschlechter dieser Familie...
X — wie Xenophon”
Literatur-Fumetto mit Zeichnungen von Norbert Gmeindl erscheint im Mai 2023 bei edition mono, Wien
..Im Jahre 1936 gibt es erstaunliche Fortschritte in Wissenschaft und Technik: Eisenbahnen und Fluglinien umspannen die Kontinente, Zeppeline dringen in die entlegensten Winkel des Globus, in Europa gibt es einige hervorragend funktionierende Diktaturen und die Menschheit trägt, wenn sie es sich leisten kann, gut sitzende Garderoben mit Gamaschen und Hüten, mit Rüschen, Puffärmeln und Pumps. In diesem Jahr befindet sich ein Papyrus bereits seit dreizehn Generationen im Besitz einer kleinaristokratischen Wiener Familie. Dieser Papyrus gilt als ein originales Autograph des Xenophon - ein Bruchstück der Anabasis, das jenen Augenblick beschreibt, in dem eine Schar Griechen, auf der Flucht durch feindliches Land, das heimatliche Meer am Horizont auftauchen sieht.
Immer wieder wurde die Echtheit des Schriftstückes angezweifelt, aber eine Untersuchung bringt das Ergebnis: Der Papyrus wurde um 400 v. Chr. beschrieben. Auch die anderen technischen Details sind unzweifelhaft.
Dieses älteste erhaltene Original abendländischer Literatur besteht aus einem brüchigen, faserigen Fetzen, bedeckt mit fahler Schrift, der in einem Glasbehälter, ähnlich einem Reliquiar, aufbewahrt wird. Dieser Behälter ist an komplizierte Apparaturen angeschlossen, die für das Schriftstück eine optimale Klimainsel herstellen. Die Apparaturen und der kleine Glassarg mit der Handschrift füllen einen großen Raum im Stadtpalais der Familie, in dem schwere Vorhänge das Tageslicht dämpfen und das Surren und Keuchen der Beatmungsmaschinen ein ständiges Hintergrundgeräusch bildet, das in jeden Raum des Hauses dringt.
Seit Jahrzehnten lebt die Handschrift des Xenophon wie ein komatöser Verwandter in dieser kleinen Intensivstation inmitten ihrer Besitzer, dem Baron und seiner Tochter und beherrscht ihr Leben, genauso wie schon das Leben vergangener Geschlechter dieser Familie...
Abb.: Cover Xenophon; Zeichnung Gmeindl
Abb.: Innenseite / Zeichnung Gmeindl
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Urheber- und Nutzungsrechte aller Texte liegen beim Inhaber dieser Site. Texte, zur freien Entnahme bereitgestellt, können zum persönlichen Gebrauch herunterladen werden. Überarbeitung, Veröffentlichung, besonders bei kommerzieller Nutzung, Verbreitung ohne Nennung von Quelle und Urheber sind nicht gestattet
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